EMSCHERplayer // Magazin // Heimat und Lebenswelten // Die Neuerfindung des Fahrrads
Mit der Umgestaltung der Emscher und ihrer angrenzenden Areale entstehen mitten im Metropolraum Ruhr weitere, vielfältige Möglichkeiten der Freizeitgestaltung: Wandern, Spazierengehen, Picknicken, Natur beobachten, Drachen steigen lassen, und nicht zuletzt: Fahrrad fahren. Dabei ist das Fahrrad weit mehr als nur ein Freizeitgerät. Seine Funktion als Verkehrsmittel wie auch seine symbolischen, emotionalen, sozialen und gesundheitlichen Bedeutungen haben sich in den letzten hundert Jahren enorm verändert.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich in Deutschland das Fahrrad zum dominierenden Massenverkehrsmittel in den Städten. Es wurde für (fast) alle erschwinglich, und da es gegenüber dem Zu-Fuß-Gehen den Aktionsradius auch der ärmeren Bevölkerung deutlich ausweitete, erlaubte es größere Entfernungen zum Arbeitsplatz. So trug es zur Ausdehnung der Siedlungsfläche der extrem dicht besiedelten Städte und damit zur Verbesserung der Wohnsituationen bei.
Nach dem zweiten Weltkrieg erlebte das Fahrrad einen Niedergang. Nicht, dass es an der Verfügbarkeit mangelte: Fahrräder waren weiterhin in den meisten Haushalten vorhanden. Aber ihre Nutzung wurde zunehmend abgelöst von komfortableren, schnelleren und Wohlstand signalisierenden motorisierten Fahrzeugen, zunächst meist Mopeds und Motorräder, dann Autos. Das Fahrrad wurde zum Verkehrsmittel für captive riders – denjenigen, die nicht anders konnten: Kinder und Jugendliche sowie Arme und Alte, die nicht Auto fahren oder es sich nicht leisten konnten. Der Drahtesel wurde zum Rostesel.
Erst mit dem aufkeimenden Umweltbewusstsein ab etwa 1980 wuchs der Stellenwert des Fahrrads erneut an. Dabei spielten auch gesundheitliche Aspekte eine wichtige Rolle. De-Industrialisierung und der Niedergang der Landwirtschaft sorgten dafür, dass immer mehr Menschen tagtäglich einer bewegungsarmen Arbeit nachgingen. Ohnehin konnte man sich neben dem Auto nun auch ein Fahrrad als Sportgerät leisten. Hochgezüchtete Rennräder eroberten den Markt.
Aber erst in den 1990er Jahren kam die Renaissance des Fahrrads zur vollen Blüte. Die Produktpalette – reichend vom Hollandrad, Mountain Bike, City Bike, E-Bike oder Pedelec – bediente die zunehmend individueller werdenden Bedürfnisse. Parallel zur Vielfalt der Modelle wurde die Anschaffung teurer, die Ausrüstung professioneller, und die Hausratversicherung wollte den Diebstahlschaden plötzlich nur noch als teure Zusatzleistung übernehmen.
Das Fahrrad wandelte sich von einem Verkehrsmittel für Arme und Minderjährige zu einem Verkehrsmittel, auf das man sich freiwillig und mit Genuss setzt. Diese Veränderung vollzog sich im Rahmen eines allgemeinen Bedeutungswandels der Mobilität in der Wohlstandsgesellschaft: Die Art und Weise der individuellen Fortbewegung wird immer mehr auch zum Mittel sozialer Distinktion, zum Ausdruck des Anders- bzw. Besonders-Seins und der Demonstration individueller Freiheit und Kompetenz. Zugleich macht sich die Verkehrspolitik diesen Individualismus zunutze und propagiert das Fahrrad als gesundes und umweltfreundliches Fortbewegungsmittel.
Am stärksten genutzt wird das Fahrrad für Wege bis etwa 3 km. Zu-Fuß-Gehen hingegen wird bei uns immer seltener, und dies gilt schon bei Wegelängen von mehreren hundert Metern. Das Fahrrad bewirkte eine Ausdehnung des Nahraums und Vergrößerung der Erreichbarkeit und ist verbunden mit einer Entwicklung, die für einige Bevölkerungsgruppen auch negative Konsequenzen hat: Der Rückzug von Tante Emma, die Ausdünnung der Nahversorgung mit Lebensmittelgeschäften, Apotheken und Dienstleistungen wie Postfiliale, Schuster oder Friseur wird für all diejenigen, die zum Rad- und Autofahren nicht in der Lage sind, zum Problem: Hochbetagte, Sehbehinderte, Bewegungseingeschränkte.
Heute wird in Deutschland jeder zehnte Weg mit dem Fahrrad zurückgelegt. Dies ist nur auf den ersten Blick wenig – man stelle sich nur einmal vor, diese Wege würden auf ohnehin stark belasteten Straßen nun auch noch mit dem Pkw zurückgelegt. An Ruhr, Lippe und Emscher spielt das Rad allerdings eine eher unterdurchschnittliche Rolle und wird bislang eher als Freizeitgerät wahrgenommen denn als Verkehrsmittel für den Alltag. Erfolgsmeldungen gibt es dennoch. So liegt etwa Dortmund in der Nutzung des Fahrrades gleichauf mit anderen großen Städten – Tendenz steigend. Bemerkenswert ist vor allem, dass zunehmend auch Menschen Rad fahren, die über einen Pkw verfügen.
Die stärkste Nutzergruppe sind die Jugendlichen. Sie legen fast doppelt so viele Wege mit dem Rad zurück wie der Rest der Bevölkerung. Im Erwachsenenalter ist die Nutzung des Rades geringer, bleibt dann aber recht stabil bis ins Rentenalter hinein. Auch ist auffällig, dass unter Jugendlichen das Fahrrad eher ein Instrument der Jungs als der Mädchen ist, entsprechend dem größeren Aktionsradius von Jungen. Unter Erwachsenen nivelliert sich dieser Unterschied.
Gerade unter älteren Menschen nimmt, so zeigen Trends, die Fahrradnutzung stark zu. Alte Menschen sind heute nicht mehr automatisch alt im biologischen, sondern nur noch im chronologischen Sinne. Sie erwarten etwas vom Leben, und das Fahrrad spielt bei den Bemühungen, jung zu bleiben, eine wichtige Rolle. Unterstützt wird dies durch die Entwicklung der E-Bikes, der Pedelecs, die den Kreis der Nutzer/innen ausdehnen in Altersgruppen, die sicher sein wollen, auch einmal verschnaufen zu können und trotzdem anzukommen.
Daneben gibt es trotz der Verbreitung des Fahrrades noch immer soziale Unterschiede in seiner Nutzung: Personen der unteren Einkommensklassen nutzen das Fahrrad überdurchschnittlich stark. Diese Statusdifferenzen sind jedoch wenig ausgeprägt. Alles in allem lässt sich sagen: Fahrrad fahren zieht sich quer durch die Bevölkerungsschichten. Und: Beim Fahrrad scheiden sich die Geister: 30% bis 40% der Bevölkerung nutzen das Fahrrad sehr häufig, die Hälfte dagegen sehr selten bis nie – dazwischen ist nicht viel. Das Fahrrad erfreut sich also entweder großer Beliebtheit oder es spielt überhaupt keine Rolle.
Aus Befragungen der Stadt Dortmund wissen wir einiges darüber, wofür Fahrräder genutzt werden. Von 100 Fahrradbesitzer/innen nutzen zwei Drittel ihr Rad für Ausflüge und Radtouren, knapp die Hälfte für private Erledigungen, ein Drittel für Sport- und Freizeitwege sowie zum Einkauf, und nur 8% für den Weg zur Arbeit. Dies täuscht allerdings darüber hinweg, dass hinter diesen Nutzungen stark unterschiedliche Wegehäufigkeiten stehen. „Nur“ 8% der Fahrradbesitzer mögen mit dem Rad zur Arbeit fahren, aber gleichzeitig entstehen damit wesentlich mehr Wege als bei der einmaligen sommerlichen Radtour.
Auch der Blick auf die Verkehrsmittelnutzung der Bevölkerung an Ruhr, Emscher und Lippe für unterschiedliche Wegezwecke zeigt, dass das Fahrrad nahezu die ganze Palette menschlicher Aktivitäten abdeckt. Es wird für Einkauf, Freizeit, zur Arbeit und für Erledigungen gleichermaßen genutzt. Ausgesprochen wenig taucht es lediglich bei dienstlichen und geschäftlichen Wegen sowie – nachvollziehbar – bei Begleitwegen, also beim Bringen und Holen von Kindern oder anderen Personen auf. Aber selbst in der klassischen Domäne des Pkw – Geschäftsfahrten – werden in Deutschland immerhin 7% der Wege nicht-motorisiert zurückgelegt, davon die Hälfte mit dem Rad. Dieser Wert liegt an der Emscher allerdings deutlich niedriger – offenbar ist es hier noch weniger statthaft als in Hamburg oder München, zum Geschäftsessen mit dem Fahrrad zu kommen.
Die Zahlen über das Wofür sagen aber nicht unbedingt etwas darüber aus, warum Menschen Rad fahren. In einer individualisierten und hochmobilen Gesellschaft stehen dabei die Bedürfnisse des Einzelnen im Mittelpunkt. Heute fährt man Rad, weil es Spaß macht, weil es gesund ist und weil es auf kurzen Strecken schnelles Fortkommen garantiert. Dass man zumindest im Kleinen etwas für die Umwelt tun möchte, ist da nur ein zusätzliches Add-on. In Zukunft werden auch steigende Energiepreise eine zunehmende Rolle spielen. Jahrzehntelang wurde das Autofahren gemessen an der Einkommensentwicklung billiger, aber etwa mit dem Milleniumswechsel begannen die Reallöhne zu sinken oder mindestens zu stagnieren, während die Treibstoffkosten zeitweise in ungeahnte Höhen stiegen. Wird das Fahrrad zukünftig wieder zum Verkehrsmittel der Notwendigkeit? In dieser extremen Formulierung vermutlich nicht, aber finanzielle Beweggründe dürften durchaus wichtiger werden.
Welche Bedingungen motivieren die Menschen, Rad zu fahren? Zu unterscheiden sind hier der Weg und das Ziel. Auf dem Weg spielt die Verkehrssicherheit eine zentrale Rolle. Rad fahren heißt, nicht nur dem Wetter, sondern auch den stärkeren Verkehrsteilnehmern relativ schutzlos ausgeliefert zu sein, und im Vergleich zum Fußgänger erzielen Radfahrer recht hohe Geschwindigkeiten, die mithin auch den Bremsweg verlängern. Sicherheit im Verkehr erfordert übersichtliche Straßenräume, intakte Wege und insbesondere eine angepasste Geschwindigkeit der motorisierten Fahrzeuge.
Natürliche Gegebenheiten wie Wetter und Topografie sind weitere wichtige Rahmenbedingungen für die Entscheidung, einen Weg mit dem Rad zurückzulegen. Wasser als ein wichtiges, die Landschaft prägendes Element hat hier große Bedeutung. Wir wissen wenig darüber, welche ästhetischen Qualitäten eines Weges die Menschen motivieren, diesen Weg gerne ohne Auto zurückzulegen, aber wir haben deutliche Anzeichen dafür, dass solche ästhetischen, landschaftlichen Qualitäten eine Bedeutung besitzen. Dazu gehört auch Licht. Die Gefährdung im Dunkeln ist nicht nur eine Angelegenheit der Verkehrssicherheit, sondern auch der sozialen Sicherheit. Dies gilt insbesondere für Frauen.
Die Wahl eines Verkehrsmittels hängt aber nicht nur vom Weg ab, sondern auch vom Ziel. Für die Entscheidung für das Fahrrad ist vor allem von Bedeutung, ob es überhaupt Zielorte in erreichbarer Entfernung gibt. Unsere Städte haben sich im letzten Jahrhundert gewaltig in die Fläche ausgedehnt. Sind Einkaufsgelegenheiten, Sportstätten, Gastronomie, der Arbeitsplatz oder die Schule zu weit weg, als dass man sie mit dem Rad erreichen könnte, wird die Wahl auf das Auto oder auf öffentliche Verkehrsmittel fallen. Deshalb ist eine kleinräumliche Durchmischung der Raumnutzungen in unseren Städten so eminent wichtig.
Die Städte an Emscher, Lippe und Ruhr haben die Bedeutung des Fahrrads erkannt und engagieren sich für den Fahrradverkehr. Das Bemühen um die Förderung des Radverkehrs zeigt sich beispielsweise in einem stetigen Anwachsen der Netze für den Radverkehr, bestehend aus Radwegen, in jüngeren Jahren vermehrt auch Radfahrstreifen auf der Fahrbahn sowie speziell ausgewiesenen Fahrradstraßen. Hinzu kommt die Öffnung von Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Fahrräder. Fahrradstadtpläne und spezielle Radwegweiser tragen zur Orientierung bei und machen zugleich das Fahrrad auch in der Öffentlichkeit symbolisch sichtbar. Fahrradboxen an Bahnhöfen und Haltestellen des Öffentlichen Personennahverkehrs sowie Fahrradhäuschen in Wohngebieten sorgen dafür, dass das Rad sicher und trocken untergebracht werden kann – auch ohne dass die Kellertreppe bemüht werden muss.
Darüber hinaus gibt es ausgearbeitete Tourenvorschläge, die neugierig machen auf die Erkundung der Städte und Landschaften längs von Ruhr, Lippe und Emscher. So wurde etwa in Essen mit dem Konzept Neue Wege zum Wasser eine ganz neue, 20 km lange Nord-Süd-Verbindung von der Emscher entlang des Borbecker Mühlenbachs, Kesselbachs und Wolfsbachs bis zur Ruhr geschaffen. Diese wurde aus einer Kombination von bestehenden Wegen entlang des Wassers sowie Neubaumaßnahmen entwickelt. Weitere Routen sind in Planung.
Bei derartigen Maßnahmen arbeiten die Städte eng mit anderen Akteuren zusammen, etwa mit dem Land Nordrhein-Westfalen, dem Regionalverband Ruhr, der Emschergenossenschaft, dem Lippeverband, dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, aber auch dem lokalen Einzelhandel. Bei der Querung bzw. Inanspruchnahme von Straßen ist auch die Polizei gefragt, etwa wenn es um Fragen der Verkehrssicherheit, der Straßenraumgestaltung und Straßenquerschnitte geht.
Die Konzepte unterliegen einer steten Weiterentwicklung. Beispielsweise stellt sich vor dem Hintergrund der Finanzmittelknappheit der Kommunen einerseits und des Sicherheitsbedürfnisses von Radfahrern andererseits die Frage nach sinnvollen und gleichzeitig sparsamen Beleuchtungskonzepten: Welche Wege sollen beleuchtet werden, wo ist es weniger wichtig? Dies erfordert nicht nur Daten über die Intensität der Nutzung einzelner Wege, sondern auch über die Tageszeiten und Zwecke der Nutzung. So wird man Wege eher mit Beleuchtung ausstatten, wenn sie dem Radverkehr nicht nur für den Sonntagsausflug, sondern auch für den abendlichen Weg zur Kneipe dienen.
Die Entwicklung des Fahrradverkehrs ist eingebettet in einen gesamtgesellschaftlichen Bedeutungswandel der Mobilität. Mit zunehmendem Wohlstand und dem rasanten Anstieg der Motorisierung war im letzten Jahrhundert ein zuvor unvorstellbares Maß an Freiheit in der Mobilität verbunden. Die Massenmotorisierung löste ähnlich der digitalen Revolution durch die Entwicklung des Internet eine Revolution der Erreichbarkeit aus. Sie setzte die Menschen aus den räumlichen Zwängen der Nähe von Wohnen, Arbeiten, Versorgen und sozialen Netzwerken frei. Kaum irgendwo lässt sich dies besser studieren als an Emscher und Ruhr, wo die mikroräumlichen Arbeitermilieus Platz gemacht haben für eine hohe Motorisierung, die andere Städte trotz deren größeren Wohlstands eingeholt hat und teilweise übertrifft.
Diese Entwicklung führt seit etwa 1990 dazu, dass auch in der Verkehrsforschung das Subjekt mit seinem individuellen Lebensstil, seinen Präferenzen, Wünschen und Wertvorstellungen in den Vordergrund gestellt wird. In Anlehnung an sozialwissenschaftliche Zeitdiagnosen konstatiert nun auch die Verkehrsforschung die Auflösung traditioneller Alters- und Geschlechterrollen, des Klassenbewusstseins und der fest verankerten sozial-räumlichen Milieus, die vor wenigen Jahrzehnten noch durch Kirche, Parteien, lokale Vereine und andere Bezugspunkte gegeben waren – an Ruhr und Emscher etwa durch Fußball, Kleingärten, Taubenzüchtervereine, Buden und Eckkneipen.
So reiht sich auch das Fahrrad ein in Tendenzen der sozialen Auflösung und Neuformation, welche sich aus dem Bedeutungswandel von Nähe und Ferne, Erreichbarkeit und Mobilität ergeben. Das Fahrrad hat sich neu erfunden, indem es das Stigma der Armut abgelegt hat und zum Symbol einer selbstbestimmten, gesunden und umweltfreundlichen Fortbewegung geworden ist. Gelingt es nun, die Bedeutung des Fahrrades weiterzuentwickeln, kann dies dazu beitragen, bei künftig stark steigenden Energie- und Verkehrskosten die Mobilität der Bevölkerung im Nahraum zu erhalten. Die bewusste Gestaltung von Landschaft und Wasser können dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Autor: Dr. Joachim Scheiner ist Privatdozent am Fachgebiet für Verkehrswesen und Verkehrsplanung der TU Dortmund und arbeitet zu den Themen Verkehrsverhalten, Siedlungsentwicklung, sozialer Wandel.
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Dies ist der Name des Programms der Stadt Essen, das auf die Vernetzung der Grünflächen und Parks zielt. Das Projekt ist Bestandteil des Stadtentwicklungsprozesses STEP2015+ und besteht aus vielen Einzelprojekten. Derzeit sind es rund 200 und auch der Umbau des Emschersystems und seinen Zuläufen gehört dazu. Zudem basieren viele der Projekte des Programms auf Gemeinwohlarbeit und Arbeitsförderungs- und Qualifikationsmaßnahmen und haben es sich zum Ziel gesetzt, die Langzeitarbeitslosigkeit mit der nachhaltigen Wohnumfeldverbesserung in der Stadt Essen zu kombinieren. Vgl. NeueWegeZumWasser
Die Geschichte des Fahrrads beginnt bereits im 17. Jahrhundert. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erlebt die internationale Begeisterung für das neue Verkehrsmittel einen ersten Höhepunkt - erstaunlicherweise in den aristokratischen Kreisen Englands. Hier werden die ersten Radfahrverbände gegründet. Ihr Urteil über die Fahrradtauglichkeit der Niederlande fällt vernichtend aus: Die Landschaft sei langweilig, die Straßen miserabel, und der entsetzliche Gegenwind mache das Radfahren zu einer Tortur. Kurz: Dem Land sei keine große Zukunft mit dem Fahrrad beschieden. Da schon eher noch Deutschland, das zumindest von der Stahlindustrie her eine gute Grundlage habe. Das sich dieses Urteil als vorschnell herausstellte, dürfte klar sein, gelten die Niederlande heute doch als Fahrrad-Nation schlechthin.
Anne-Katrin Ebert beleuchtet in ihrer Studie „Radelnde Nationen“ die Geschichte des Fahrrads in Deutschland und den Niederlanden bis 1940 (Frankfurt/Main 2010). Zum Weiterlesen). Ihr Augenmerk liegt dabei nicht auf einer Technikgeschichte, sondern auf der Bedeutung des unterschiedlichen Umgangs mit Mobilität auf das Demokratie- und Selbstverständnis der Menschen.
Was der Durchsetzung des Fahrrads als persönlichem Nahverkehrsmittel noch entgegensteht, ist der zwangsweise Einsatz eigener Energien zum Antrieb. In diese Lücke springt zwar das E-Bike, doch steht und fällt der ökologische Nutzen des Rades mit der Art der Stromquelle. So erscheint es sinnvoll, statt eingekauftem Atomstrom, die Energien zu nutzen, die uns allen kostenfrei zur Verfügung stehen: Solarkraft. Ein Solarfahrrad ist idealerweise ein Fahrrad, das die elektrische Energie für den Hilfsmotor aus einem am Fahrrad montierten Solarpanel bezieht. Da aber die Sonne nicht immer scheint und die zur Verfügung stehende Fläche eher zu klein als ausreichend groß ist, behilft man sich mit mehr oder weniger großen Akkus. Diese Akkus können wie bei einem Elektrofahrrad mit einem Ladegerät aufgeladen werden.
Beim Fahren wird dann die ursprünglich von der Sonne stammende Energie wieder an die Umgebung abgegeben und reiht sich so in den natürlichen Sonnenenergie-Kreislauf ein. Der natürliche Energiehaushalt wird somit nicht unnötig gestört, das Energiegleichgewicht bleibt erhalten. Es gibt keinerlei Abgase oder Schadstoffe. Es wird nicht vor Jahrtausenden "konservierte", fossile Energie in Umlauf gebracht. Es wird auch keine Energie sinnlos tausende Kilometer weit "verschleppt". Ein Solarfahrrad stellt also ein ideales, umweltfreundliches und nachhaltiges Transportmittel dar, das durch den Betrieb das natürliche Gleichgewicht in keiner Weise stört.
Der 225 Kilometer lange Emscher Park Radweg führt durch das Zentrum des ehemaligen Reviers: Hier folgen den Zechensiedlungen die Unternehmervillen und Aussichtspunkte. Industrielle Relikte, das idyllische Ruhrtal und die miteinander vernetzten grünen Freiräume des Emscher Landschaftsparks wechseln sich ab. Für Interessierte gibt es spezielle Tourenvorschläge, Expeditionen und eine ganze Reihe von Kunstprojekten entlang des Emscher-Park Radwegs. Die Bandbreite der zu bestaunenden Kunstprojekte ist breit und reicht von der Fotografie über Malerei, Plastik und Landschaftskunst bis hin zu Literatur, Theater und Musik. Siehe: Freizeit und Kultur
Während der Emscher-Radweg komplett mit Schildern ausgewiesen ist, können sich entdeckungsfreudige Radfahrer auch mit Kartenmaterial auf die Emscher-Touren machen: diese fünf Themenreisen warten mit speziell zusammengestellten Info-Tafeln und Sehenswürdigkeiten auf. So können sich Radwanderer einen ganz neuen Zugang zu den Themen „Gewässer und Industrie“, „Wasserbauwerke“, „Gewässer und ihre Fracht“, „Lebenselement Wasser“ und „Leben und arbeiten an der Emscher“ erfahren.
Das klassische Erklärungsmuster für die Entstehung von Verkehr ist eine Variante des sogenannten Rational Choice-Modells. Dabei wird davon ausgegangen, dass Menschen in ihren Konsumentscheidungen Nutzen optimierend handeln. Da die Verkehrsnachfrage in erster Linie eine abgeleitete Nachfrage darstellt – zurückgelegte Wege sind kein Selbstzweck, sondern dienen einer Aktivität am Zielort – werden diese Wege als ein zu minimierender Aufwand definiert. Dabei stellen Transportkosten und Zeitaufwand einen „negativen Nutzen“ dar, den Verkehrsteilnehmer zu minimieren bestrebt seien.
Im September 2005 führte die Stadt Dortmund in Zusammenarbeit mit dem Amt für Statistik und Wahlen eine Befragung zum Verkehrsverhalten durch. Die letzte dieser Art hatte 1998 stattgefunden. Insgesamt 13.000 Dortmunder Haushalten wurden befragt, um ein vollständiges Bild vom Verkehrsgeschehen eines Tages zu ermitteln. Darüber hinaus wurden weitere für die Verkehrsplanung in Dortmund wichtige Daten erhoben, wie der Bestand an Fahrzeugen und Monatstickets, Entfernungen zu Haltestellen, Angaben zur Fahrradnutzung etc. Dies zeigte unter anderem, dass 2005 jeder vierte Haushalt keinen Pkw hatte, dass jeder Zweite täglich Auto fuhr und jeder Vierte Bus und Bahn benutzte. Am wichtigsten war den befragten Dortmunderinnen und Dortmundern die Instandsetzung bzw. Instandhaltung der Straßen.
Fahrräder mit zusätzlichem oder eingebautem Elektromotor, der zumeist von einem Akku gespeist wird, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Auch Pedelecs, also ein Elektrorad, dessen elektrische Fahrunterstützung nur durch Treten der Pedale abgefordert werden kann, gibt es mittlerweile in einer ganzen Palette diverser Angebote: Stadtrad, Tourenrad, Mountainbike, Faltrad, Singlespeed, S-Pedelec.
Der soziologische Begriff der „Distinktion“ bezeichnet die Praxis der Abgrenzung von anderen zum Zwecke der Demonstration der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, z.B. einer Religionsgemeinschaft oder einer Jugendkultur. Der Soziologe Norbert Elias hat Distinktion am Beispiel der Feudalgesellschaft untersucht. Er beschreibt die Tendenz des Adels zur ständigen Verfeinerung der Sitten als soziale Strategie, sich von dem aufstrebenden Bürgertum abzugrenzen. Für die Gegenwartsgesellschaft hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu gezeigt, wie Geschmacksvorlieben, etwa bezogen auf Kunst, Musik, Möbel, Essen, Trinken, Reisen, als Produkt des sozialen Status angesehen werden müssen. Das, was früher Standesdünkel hieß, wird heute als Lebensstil gepflegt.
Der praktische Nutzen und Freizeitwert des Fahrrads ist nicht zu bestreiten. Seine Bedeutung als „Sportgerät“ zum Abtrainieren überschüssiger Pfunde wird aber zumeist überschätzt. So verbrennt ein 70kg schwerer Mensch bei 15 Minuten Spazieren gehen ca. 63 kcal. Auf dem Rad liegt der Verbrauch bei 105 kcal, beim Inline skaten oder Treppen steigen bereits bei 121 kcal und beim Joggen schon bei 218 kcal. Wer sich dafür entscheidet, einfach nur in der Sonne liegen zu bleiben, verbraucht aber immerhin auch noch 13 kcal.
Während der technische Aufbau eines Fahrrads vergleichsweise einfach erscheint, ist die zu Grunde liegende, physikalische Theorie komplex. Das Fahrrad ist ein zumeist zweirädriges, einspuriges Landfahrzeug, das sich durch die Kreiselkräfte der laufenden Räder und durch Gleichgewichtsverlagerungen stabilisiert. Dabei erreicht es einen extrem hohen Wirkungsgrad: die zur Bewegung erforderliche Energie ist relativ zur zurückgelegten Wegstrecke bei keinem anderen Verkehrsmittel so gering. Ein hochwertiges Fahrrad erreicht einen Wirkungsgrad von 99% und ist damit das ökologischste Verkehrsmittel der Welt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das Verhältnis des Menschen zur Technik gespalten. Den industriellen Moloch im Nacken und den technischen Fortschritt vor Augen pendelte die Gesellschaft zwischen dem ausgerufenen „Untergang des Abendlandes“ und futuristischen Utopien. Umso erstaunlicher ist es, dass das Fahrrad durchweg positiv aufgenommen wurde. Liebevoll auch einfach nur „die Maschine“ genannt, war es Ausdruck eines technischen Fortschritts unter Kontrolle: Anders als die Eisenbahn, die ihre Passagiere geradezu verschluckte, um sie dann an anderer Stelle wieder auszuspucken, verkörperte das Fahrrad ein enges, stets kontrolliertes Zusammenwirken von Körper und Technik. Die neu gewonnene Mobilität ermöglichte zudem die „Fahrt ins Grüne“, um der grauen Tristesse der Großstädte zu entkommen.
Die größte europäische Interessenvertretung für den Radverkehr ist die „European Cyclist’ Federation“ mit 56 europäischen Mitgliedesverbänden aus 38 Ländern und 15 internationalen, assoziierten Verbänden. In Deutschland vertritt der ADFC (Allgemeiner deutscher Fahrrad Club) als größter Verein die politischen Interessen seiner Mitglieder. Die Aktivitäten reichen von der Herausgabe von Kartenmaterial, der Mitsprache in politischen Gremien zur Radwegeplanung, über Gesundheitsprogramme in Zusammenarbeit mit Krankenkassen bis hin zum Fahrradklimatest
Das Ruhrgebiet bekommt als Erbe des Kulturhauptstadtjahres 2010 das größte Fahrrad-Verleihnetzwerk Deutschlands. Bis Ende 2012 dauert der Ausbau, dann stehen insgesamt 3.000 Leihräder an 300 Stationen im Ruhrgebiet zur Verfügung. Viele Stationen liegen an markanten Punkten wie Sehenswürdigkeiten oder Verkehrsknoten mit Bus und Bahn. Das Projekt wird von zehn Ruhrgebietsstädten und dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr unter Federführung des Regionalverbandes Ruhr (RVR) realisiert. Die Räder können spontan ausgeliehen werden. Vor der ersten Nutzung ist eine einmalige Registrierung notwendig. Metropolradruhr
Der Begriff der Mobilität wird in vielerlei Hinsicht verwendet: es gibt eine physikalische, geistige, soziologische und verkehrsräumliche Dimension. Die hier gemeinte, territoriale Mobilität umfasst nicht nur die Beweglichkeit von Personen und Gütern im geographischen Raum, sondern auch deren Bereitschaft und Notwendigkeit dazu. Die moderne Gesellschaft ist geprägt durch eine stetig steigende Ausdifferenzierung. So sind schon die Aktivitäten des alltäglichen Lebens wie Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Bildung und Erholung oftmals räumlich voneinander getrennt. Die Teilhabe am modernen Leben setzt also die Überwindung räumlicher Distanzen voraus: die Mobilität reintegriert den durch Differenzierung entorteten Menschen. Doch Mobilität entsteht nicht nur in Zwangs-Kontexten: die intrinsische Motivation „auf dem Weg“ zu sein dient der Schaffung von Identität und zum Ausdruck eines Lebensstils.
· Anne-Katrin Ebert, Radelnde Nationen. Die Geschichte des Fahrrads in Deutschland und den Niederlanden bis 1940. Frankfurt am Main / New York 2010.
· Christine und Jürgen Reimer, Das grosse Buch der Flussradwege. Die schönsten Radwanderwege an Deutschlands Flüssen. München 2010.
· Roland Girthler, Vom Fahrrad aus. Kulturwissenschaftliche Gedanken und Betrachtungen. Berlin 2011.