EMSCHERplayer // Magazin // Heimat und Lebenswelten // Der Gestank der Heimat – herrlich eklig!
Mythen stellen, oft in archaischer Form, idealtypische Grundmuster menschlichen Verhaltens dar. Deshalb haben sie über ihre konkrete Entstehungszeit hinaus Bedeutung; denken wir nur an die Mythen des Antiken Griechenlands oder die Märchen der Brüder Grimm. Auch der Ekel gehört in das Reich der Mythen. In diesem Mythos geht es fundamental darum, was uns abstößt, weil es uns bedroht, aber auch darum, wonach wir uns sehnen: nach Sauberkeit, Reinheit, Gesundheit, Sicherheit, Wärme und Nähe.
Der Ekel ist eine Stimmung, die durch unsere Kultur bestimmt ist. Andererseits formt er als kulturspezifisch ausgeprägte Stimmung übergreifend das Zusammenleben in Gesellschaften. Mit dem Ekel sind grundlegende Wertschätzungen, Grenzbestimmungen und Tabus verbunden, durch die sich eine Kultur reguliert, indem sie sozusagen einen Ekel-Haushalt führt. Der Ekel macht das menschliche Leben zu dem, was es für uns ist, und hat folglich einen archetypischen Charakter. Friedrich Nietzsche war der Ansicht, sein Genie sei in seinen Nüstern. Er roch die Verwesung des Wilhelminischen Zeitalters, seine Verfaultheit und Dekadenz. Für ihn trennte der schlechte Geruch nicht nur Menschen unwiderruflich, sondern auch Völker und Kulturen: Bevor man sich nichts mehr zu sagen hatte, konnte man sich nicht mehr riechen. Jemand riecht unangenehm nach Zigarettenrauch oder Alkohol, schon gehen wir auf Distanz. Auch wer zu sehr schwitzt, hat es unter seinen Mitmenschen nicht leicht. Russen riechen angeblich nach Wodka und Knoblauch, Deutsche natürlich nach Sauerkraut und Bier, sie sind eben die „Krauts” für die Engländer. Angehörige sozialer Unterschichten gelten als ungewaschen und stinkend. Beim Streit auf den Spielplätzen der bürgerlich-mittelständischen Viertel in den deutschen Großstädten ist allzu oft das letzte Wort: „Du stinkst mir sowieso!”
Die Feststellung, dass der Andere stinke, ist nicht nur einfach ein Einordnungsmuster durch Geruch, sie ist auch ein Abgrenzungs- und Ausgrenzungsmechanismus und unterstützt Feindbilder. Wenn es stinkt, dann wird nicht einfach etwas Fremdes gewittert in einer Art intuitiver Schnelldiagnose durch die Nase, sondern dann wird etwas möglicherweise Feindliches wahrgenommen. Dem entspricht die anthropologische Tatsache, dass Ärger, Hass, Angst, Aggressivität, dass Lügen mit bestimmten Körpergerüchen verbunden sind, die uns mindestens skeptisch, wenn nicht sogar misstrauisch oder gar feindlich gegen den anderen werden lassen.
Das Reich Bismarcks, mit dem der Mythos vom Aufstieg Deutschlands zur industriellen Großmacht verknüpft ist, war für Nietzsche die sich ankündigende Hölle eines lärmenden-militanten Industriezeitalters, das, seiner Ansicht nach, ein Zeitalter des höllischen Gestanks war und von tiefem, nahezu mythischem Ekel geprägt war: Es stank sprichwörtlich wie in der Hölle. Dieser Höllengestank machte Nietzsche wahnsinnig. Ihn ekelte die industrielle Moderne, deren Ruß und Schmutz an. Gerade darin unterscheidet er sich aber von einer seiner Lieblingsgestalten: Luzifer. Der fühlt sich wohl im ekligen Gestank seiner Höhle, der Hölle. Der Höllengestank gibt Luzifer das Gefühl, dass er wieder zu Hause ist, hingegen sind ihm die himmlischen Düfte (der Kirche) zu wider. Mit dem Höllengestank ist für den Teufel nicht Ekel, Abstoßung verbunden, sondern Wärme und Nähe. Wenn wir sagen: „Hier stinkts aber höllisch!“, und wollen fliehen, dann fühlt der Teufel sich heimisch und bleibt.
Mit dem Himmel verbinden wir Normalsterblichen angenehme Düfte, davon lebt ein ganzer Industriezweig: himmlische Düfte wünschen wir uns und das bedeutet auch: ein angenehmes, glückliches Leben – man hat sein Düftchen für den Tag und sein Düftchen für die Nacht und man verachtet den Ekel. Der Teufel aber fühlt sich im ekligen Gestank seiner Hölle sauwohl. Das Widerliche, Unreine, Stinkende, Eklige wird bei ihm mit dem Sich-Wohlfühlen, Bei-Sich Selbst- und Zu-Hause-Sein verbunden. In der „schlechten Luft”, in der Malaria lebt der Teufel auf. Exkremente und eklige Tiere stören ihn nicht, im Gegenteil. Gängigerweise widerspricht dies den allgemeinen Vorstellungen eines schönen, glücklichen Lebens. Das ist nämlich rein, sonnendurchflutet, eben heller als die Höhle Luzifers.
In diesem Kontext werden auch immer wieder Tiere mit dem Abscheulichen, Abstoßenden assoziiert. Tiere gelten in unserer Gesellschaft glücklicher Reinheit als einer der wichtigsten ekelerregenden Faktoren, besonders solche, die einen Kontakt zu Exkrementen und Kadavern haben: Insekten, Ratten, die ja immer wieder in Verbindung mit der Kanalisation als Seuchenbringer betrachtet wurden und werden.
Als ekelhaft wird überhaupt alles betrachtet, was den Menschen an seine tierische, aber auch sterbliche, vergängliche Natur erinnert, sei es das Organische – die Ausscheidungen und Sekrete, sei es die Verwesung – die Zeichen vom Alter und Tod. Und auch Abwasserkanäle werden als Röhren des Ekligen betrachtet, erscheinen sie doch wie eine Verlängerung des menschlichen Ausscheidungssystems.
Allerdings wird das ausgeschiedene Organische in Verbindung mit dem Ekel durchaus ambivalent bewertet. Einerseits betrachten wir die Kloake mit ihrem Schlamm, Schleim, Kot, Urin und Blut negativ als Symbol der Verwesung und des nahenden Todes. Andererseits werden diese organischen Stoffe auch mit positiven Gefühlen und Empfindungen wie Wärme, Nähe oder Unmittelbarkeit verbunden, wie sie beispielsweise in spezifischen sexuellen Praktiken zum Ausdruck kommen. Dies deutet an, dass der Ekel in Verbindung mit Nähe- und Authentizitätserfahrungen als Wärmestrom und sogar rauschhaft erlebt werden kann.
Umgekehrt kann Ekel aber auch den Rausch zerstören. Er kann als Distanz erzeugender Kältestrom erlebt werden, indem er ernüchtert, enttäuscht, weil er den Menschen in seinen ursprünglichsten Regungen bloßlegt und ihm seine im Rausch begangenen (ggf. tabubrechenden) Taten vor Augen führt. Gleichermaßen kann selbst der Ekel am Ekel berauschen, wie auch das Rauschen des Rausches eklig sein kann. Aus Ekel verzweifelt der Mensch allzu oft an sich selbst und verliert seine Selbstachtung, doch er kann diese Selbstachtung wieder finden, indem er erkennt, dass er sich verloren hat.
Das Vermögen zum Ekelempfinden kann also als einer der Maßstäbe des Menschseins betrachtet werden, und dieser Affekt, so verdrängt und verpönt er in der heutigen Gesellschaft mit ihrem Schönheits- und Hygienewahn auch ist, verdient eine Rehabilitation im Hinblick auf seine zivilisierende, Erkenntnis ermöglichende Funktion.
Wenn unsere technisch-mediale Kultur in Verbindung mit der organischen Natur tritt, kann auch sie als eklig empfunden werden. Derartige Wahrnehmungen sind jedoch durchaus ambivalent: So kann das tatsächliche wie auch das metaphorische In-den-Schlamm-Versinken, z.B. in die Promiwelten der Dschungelcamps, in die Unterwelt der Kanalisation einer Stadt oder auch in Kaviar-Pornos, auch als wohltuend empfunden werden. Es kann den Eindruck des unreflektierten Ein-Gebettet-Seins und der Einigkeit mit dem Kreatürlichen hervorrufen, wie es beispielsweise auch die Welt der Obszönitäten ermöglicht. Das Lob des Ekligen kann in einer hygienebasierten Gesellschaft zum subversiven Protest gegen den Reinheitswahn unserer Zivilisation und Gesellschaft geraten, der mittlerweile immer mehr Menschen krank macht. So kann auch Ekel zum Statthalter von Authentizität, Vitalität und Menschlich-Allzumenschlichem werden und geteilte Vorlieben für Ekliges können durchaus ein Zusammengehörigkeitsgefühl und Identität schaffen. Der Dreck und Gestank der großen ostdeutschen Chemiebetriebe machte krank, das wusste jeder, der dort lebte, und zugleich vereinte er: Alle mussten damit leben.
Was uns anekelt, kann uns auch verbinden. Was wir gemeinsam als eklig empfinden, eint uns – um damit umgehen zu können oder es gar zu beseitigen. Als Chemiker in Leuna zu arbeiten, das hieß, den Ekel nicht nur negativ zu sehen, sondern das Werk hatte mit seiner antiökologischen Ekelproduktion auch etwas Faszinierendes, Gefährliches, das zugleich die Grenze der alten, die Natur zerstörenden Chemieproduktion verkörperte. Wer in Bitterfeld lebte, befand sich in einer ökologischen Todeszone. Er war ein Grenzgänger. In der ekligen Luft konnte man die ökologische und gesundheitliche Bedrohung riechen, die Angst war riechbar, aber der Angstgeruch wurde nicht als solcher wahrgenommen. Denn die Menschen, die in diesem Industriezonen lebten, waren nicht permanent beunruhigt über ihr existenzielle Lage, dies nicht nur deshalb, weil sie sich an den Ökoekel gewöhnt hatten, sondern weil es auch ihr vertrautes Umfeld war, in dem sie sich bei all dem Dreck und Gestank heimisch fühlten.
Das Eklige beunruhigt also nicht nur, es kann auch beruhigen. Es stößt nicht nur ab, es kann auch anziehend wirken. Das Eklige kann in Bezug auf den angestammten heimatlichen Raum Abneigung und Flucht bewirken, es kann aber auch Zuneigung und Identifikation ermöglichen. Es gibt eine Ästhetik des Ekligen, die durchaus als attraktiv wahrgenommen wird und heute beim Umbau vor allem der Industriekultur des 19. und 20. Jahrhunderts positiv konzeptionell genutzt wird.
Wie für Menschen gilt, ‚Sage mir, was Dich anekelt und ich sage Dir, was Du für ein Mensch bist’, so gilt auch für Kulturen, ‚Zeigt uns, wie Ihr mit dem Ekligen öffentlich umgeht und ich sage Euch, was das für eine Kultur ist’. Indem wir nicht mehr verstecken, was uns anekelt, indem wir uns dem Ekel stellen, nicht mehr vor ihm fliehen und uns nicht für ihn schämen, ihm dem Charakter des Tabus nehmen, den Gestank als ekligen Gestank, den Kot als ekligen Kot, den Müll als ekligen Müll offen benennen, beginnen wir schon aufgeklärt und enttabuisiert mit dem Ekligen umzugehen. Dies könnte der erste Schritt zu seiner Beseitigung sein.
Der offene Umgang mit dem Ekligen hat also durchaus eine korrigierende und kritische Funktion für die Modernisierung aller unserer Lebens- und Kulturformen. Das Eklige zeigt nicht nur Gefahren, sondern seine Warnfunktion kann die Rettung aus der Gefahr sein.
Der psychologische Schutzmechanismus des Ekels offenbart sich in Vor- bzw. Darstellungen von Ausscheidungen oder von Verwesung, die mehrheitlich als abstoßend eingestuft und abgelehnt werden. Die Ursprünge des Ekels als Sinnesphänomen hängen eng mit der Ernährung zusammen: wir erleben in ihm eine atavistische Abwehrreaktion auf verdorbene oder giftige und dadurch lebensgefährliche Nahrungsstoffe. Der Ekel vor verdorbenen Nahrungsmitteln hat, so gesehen, eine wichtige Schutz- und Abwehrfunktion. Die Schutzfunktion des Ekels, ursprünglich auf den Körper bezogen, wurde in der Entwicklung der modernen Kultur als Zivilisierungsmittel auf psychische und kulturelle Konstrukte übertragen; das, was dem Individuum als gefährlich für sein Wesen oder für die allgemeine gesellschaftliche Ordnung erscheint, z.B. bestimmte Moralvergehen, bizarre Sexualpraktiken, das vergiftete Wasser oder die nach Chemikalien stinkende Luft, wird als abstoßend und sogar verbrecherisch tabuisiert.
Schon Immanuel Kant verstand den Ekel als eine „starke Vitalempfindung“, als eine der heftigsten Affektionen des menschlichen Wahrnehmungssystems, als „ein Alarm- und Ausnahmezustand, eine akute Krise der Selbstbehauptung gegen eine unassimilierbare Andersheit, ein Krampf und ein Kampf, in dem es buchstäblich um Sein oder Nicht-Sein geht.“
Bei Friedrich Nietzsche werden die heftigen Ekelausbrüche mithilfe von Metaphern wie „Gewürm Mensch“ oder „Menschen-Moder“ zum Ausdruck gebracht. Dies verweist darauf, dass die Ekelreaktion Abwehr der bedrohlichen Seite des Daseins ist und dass der Tod, der physische und mentale Untergang, der sich der menschlichen Vorstellungskraft entzieht, die stärkste Bedrohung darstellt. Darüber hinaus bringt Nietzsche das Eklige der menschlichen Umwelt mit dem Ekligen im Geist des Menschen in seiner Ernährungs- und Gesundheitslehre in Verbindung. Er kann die „Eingeweide einer missrathenen Seele riechen“, beschreibt, dass missgünstige und hinterhältige Gedanken als „Pilz“, der den „ganze(n) Leib morsch und welk vor kleinen Pilzen“ macht und sieht im „Ekel am Menschen, am ‚Gesindel’“ die „größte Gefahr”.
Ekel ist bei Nietzsche nicht davon zu trennen, wie der Mensch mit seiner Umwelt umgeht: ob die Welt nach ökologisch-ästhetischen Prinzipien gestaltet wird oder ob ein Kulturland bloß nach ökonomischen Effektivitätskriterien umgebaut wird, ob sich alle vom Ekel des Ökonomischen anstecken lassen und dadurch nur der kulturelle Niedergang weiter befördert wird oder ob sich auch das Eklige dem Ästhetisch-Ökologischen unterwerfen muss. Denn wie für Nietzsche das Dasein nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertig ist, so wird auch der Ekel als ästhetisches Phänomen gestaltbar, erträglich und eventuell sogar schön. Die Ästhetisierung des Ekligen könnte sich dann als ein Heilmittel gegen den Überdruss am Ekel erweisen.
Autoren: Dr. Volker Caysa und Karolina Sidowska, M.A..
Dr. Volker Caysa lehrt als Professor Philosophie an der Universität Łódź, ist Privatdozent an der Universität Leipzig und Vorstandsmitglied der Nietzsche-Gesellschaft.
Karolina Sidowska, M.A., ist Doktorandin am Institut für Literaturtheorie
an der Universität Łódź.
Forschungsschwerpunkte: Theorie der Affekte, literarische
Repräsentationen des Körpers, deutsche und polnische Literatur der
Jahrhundertwende und der Gegenwart.
Kläranlage Dortmund-Deusen,
Foto: © 2md
Mit der Industrialisierung wurde die gesamte Emscher zum Sperrgebiet. Der Fluss verströmte von nun an einen einzigartigen Gestank, der gleichermaßen abstoßend wie auch charakteristisch war. Stolz war niemand auf diesen Fluss, und doch war sowohl der Gestank als auch der Anblick so abstoßend, dass es schon wieder faszinierte und die Ruhrgebietsbewohner schon bald den Spitznamen „Köttelbecke“ erdachten. Da Spitznamen normalerweise Freunden und Verwandten gelten, zeigt sich, wie hoch trotz aller Abscheu das Identifikationspotenzial der Emscher war.
In Zukunft soll der renaturierte Fluss als Naherholungsgebiet, als etwas, auf das man stolz sein kann, ebenfalls zur Identitätsbildung beitragen. Und doch wird, solange sich Menschen an die alte, schmutzige „Köttelbecke“ erinnern können, auch dieses gemeinsame Erbe die Menschen im Emschertal verbinden.
Im Medienpool erzählen Zeitzeugen vom Leben an der Emscher Anfang des 20. Jahrhunderts
Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in London zunehmend Toiletten mit Wasserspülung installiert. Diese Modernisierung brachte allerdings eine massive Einleitung von Abwässern in die Themse mit sich. Dazu kam die Entsorgung von Industrieabfällen über den Fluss. Im Jahr 1858 brachte ein besonders heißer Sommer das Fass zum Überlaufen. Der Gestank in der Stadt war so unerträglich, dass vom Parlament der Bau eines umfassenden Abwassersystems beschlossen wurde, das bis heute in Betrieb ist. Das Ereignis ging als "The Big Stink" in die Geschichte ein.
Von Dschungelcamp bis „Autopsy“ – ein US-Serie, die unter dem Vorwand kriminologischer Erkenntnisgewinnung Leichen in sämtlichen Verwesungsphasen präsentiert: In den Medien steht der Ekel im Fokus und erreicht damit hervorragende Einschaltquoten. Auch Charlotte Roches „Feuchtgebiete“, das auf provokante Weise Ekel und Sexualität thematisierte, wurde mehr als eine Million Mal verkauft und zum Bestseller des Jahres 2008.
In seinem Buch „Ekel: Theorie und Geschichte einer starken Empfindung“ hat sich Winfried Menninghaus, Professor für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften an der FU Berlin, ausführlich mit der Faszination des Ekels und der Zusammengehörigkeit von Ästhetik, Ekel und Lusterfahrung auseinandergesetzt. Dazu gehört auch der Genuss des Ekels als Rebellion gegen Konventionen, etwas, das Charlottes Roches mit „Feuchtgebiete“ auch explizit als Reaktion auf übertriebenes Hygieneverhalten provozieren wollte. Ob durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Widerlichen allerdings eine Überwindung des Ekels stattfindet, bezweifelt Menninghoff.
Das wohl bekannteste Beispiel der Ekelkunst ist die Merda d’artista („Künstlerscheiße“) des italienischen Künstlers Piero Manzoni. Im Jahr 1961 bot er 90 nummerierte und signierte Blechdosen zum Kauf an, die er angeblich mit seinem eigenen Kot befüllt hatte. Die Dosen, die damals zu einem Gegenwert von 30 Gramm Gold verkauft wurden, haben heute einen hohen Sammlerwert, obwohl unklar ist, was die Dosen tatsächlich beinhalten.
Eine Gruppe Wiener Künstler sorgte in den 60er und 70er Jahren für Aufsehen mit Aktionen, die an die Konzepte der amerikanischen Fluxus- und Happening-Kunst angelehnt waren. Diese „Wiener Aktionisten“ wollten durch ihren Körpereinsatz eine mximale Intensität und Überwältigung der Zuschauer erreichen. Bekannteste Aktion der Künstler war der Auftritt im Hörsaal einer Wiener Universität, wo sie sich sich öffentlich erbrachen, urinierten und sich ihrer Exkremente entledigten, während sie die österreichische Nationalhymne sangen. Es sei darum gegangen zu demonstrieren, wie sehr sich die Menschen über diese Aktion aufregen würden, während sie bei den Berichten über den damals ausgefochtenen Vietnamkrieg stumm blieben.
1967 stellte der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan in seinem Buch "Meine Lehre" den Zusammenhang zwischen der Ausbildung von Hochkulturen und der Bewältigung ihrer Müll- und Abwasserentsorgung her. Als Beispiel nennt er etwa das antike Rom, das bis heute nicht nur für seine Kultur bekannt ist, sondern auch für den Stellenwert, den man der Hygiene im öffentlichen Leben zugestand (Aquädukte, Badehäuser, Kanalsysteme wie die Cloaca Maxima). Eine Hochkultur ist daher Lacan zufolge zunächst einmal eine Kultur, die eine Müllkippe hat.
Die Analytische Psychologie geht davon aus, dass Menschen über ein kollektives Unterbewusstsein verfügen, das sich im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelt hat. Bestimmte wiederkehrende Ereignisse und Gefühle, die im Laufe jedes Lebens auftreten (z. B. Geburt, Trennung, Tod), manifestieren sich als universelle Vorstellungsmuster, die zu allen Zeiten in allen Kulturen ähnliche Bilder hervorbrachten.
Ein Mythos im klassischen Sinn ist eine Geschichte, die wahre und/oder unwahre Ereignisse aufgreift und in eine Erzählung einbettet. Da sich Mythen häufig um wiederkehrende Konstellationen und Konflikte drehen, deutete Freud sie als Projektionen menschlicher Erfahrungen und Goethe sah darin eine „abgespiegelte Wahrheit einer uralten Gegenwart“. Im modernen Verständnis werden Mythen dazu genutzt, etwas menschlich Allgemeingültiges zu entdecken, das trotz aller Unterschiede verbindet. Neben den klassischen Mythen tauchen heute gerade in großen Städten vermehrt Geschichten auf, die als „Urbane Mythen“ bezeichnet werden und meist moderne Ammenmärchen sind. Dennoch haben auch sie menschliche Urängste und -hoffnungen zum Thema und bilden einen Geschichtenpool, der über das Internets schriftlich wie mündlich verbreitet und so von vielen Großstädtern auf der ganzen Welt geteilt wird.
Wovon hängt es ab, was wir als stinkend und ekelhaft empfinden? Liegt es nur an familiärer und kultureller Prägung oder gibt es auch universellen Ekel? An der London School of Hygiene and Tropical Medicine wurde eine globale Studie zu diesem Thema durchgeführt. Die Forscher fanden heraus, dass vor allem Substanzen, die gesundheitsschädlich sind, Ekel erzeugen. Es handele sich also um einen Schutzmechanismus des Körpers. Psychologen sind dagegen der Meinung, dass Menschen über den „biologischen Ekel“ hinaus differenziertere Abwehrreaktionen entwickelt haben, die kultureller Natur seien. Unterschiedliche Ekelauffassungen zeigen sich aber auch in der Esskultur: So empfinden etwa Europäer die in China sehr begehrten tausendjährigen Eier als ebenso abstoßend wie Asiaten den bei uns beliebten Schimmelkäse.
Bis ins 19. Jahrhundert war der Glaube verbreitet, dass Miasmen, schlechte Gerüche, zur Ausbreitung von Krankheiten beitrugen, insbesondere Malaria, Pest und Cholera hielt man für Folgen schlechter Luft. Vor der Pest versuchte man sich etwa zu schützen, indem man die Luft durch Feuer reinigte, Patienten mit Essig besprühte und Masken anlegte, deren überlange Nasen mit Kräutern gefüllt wurden.
Nach einer Choleraepidemie in London Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte der britische Arzt Dr. Snow die Theorie von lebenden, krankheitsverursachenden Organismen im Trinkwasser und bewirkte durch die Schließung einer öffentlichen Pumpe die Eindämmung der Seuche. Trotzdem dauerte es noch mehr als 100 Jahre, bis durch Roland Koch der Zusammenhang zwischen Bakterien und Krankheiten zuverlässig bewiesen und allgemein akzeptiert wurde.
War Hygiene zunächst der Schlüssel zur Vermeidung von Krankheiten, so lässt sich heute ein regelrechter Hygienewahn beobachten. Mit Werbespots werden bewusst Ängste vor Krankheiten geschürt. Insbesondere Mütter werden hier angesprochen, die am besten immer ein Desinfektionsspray in der Tasche haben sollten, um ihrem Nachwuchs auch unterwegs eine keimfreie Umgebung zu bieten. Dagegen unterstützen zahlreiche Experten die These, dass eine allzu keimfreie Umgebung eher dazu führt, dass Kinder keine Abwehrmechanismen entwickeln können und sie viel anfälliger für Krankheiten sind.
Auf der psychologischen Ebene kann der hohe Anspruch an Sauberkeit und Hygiene ebenfalls krank machen. Hinter zwanghaftem Waschen oder Putzen stecken bei den Betroffenen vordergründig ins Irrationale gesteigerte Ängste vor Schmutz und den Folgen mangelnder Hygiene, auf einer anderen Ebene aber auch Vermeidung von unerwünschten oder als ekelhaft empfundenen Gedanken und Erinnerungen.
Die Industrie weckt und befriedigt einen großen Bedarf an „Anti-Ekel-Produkten“: Nicht nur Schmutz und Bakterien müssen bekämpft werden, sondern auch Gerüche. Interessanterweise wurde zu Beginn dieser Entwicklung viel Wert darauf gelegt, dass durch die angebotenen Sprays Gerüche nicht übertüncht werden, sondern vollständig neutralisiert. Inzwischen sind diese Werbeaussagen weitgehend verschwunden, stattdessen werden Raumparfums, Duftkerzen und -sprays beworben. Es scheint, als wäre überhaupt kein Duft, also die völlige Neutralisation von Gerüchen, einfach zu wenig für das menschliche Wohlempfinden und das „Zuhause-Gefühl“.